© copyright Helmut Hennig Text und Bilder aus "Heimatbeilage zum Amtl. Schulanzeiger des Regierungsbezirks Oberfranken - Bayreuth Nov. 1998 - Nr 256
Warthen auff dem Gebirg"
Fehden im ausgehenden Mittelalter
Soweit sich in der Geschichte der germanischen Völkerschaften zurückblicken läßt, war es immer Aufgabe und Vorrecht der Sippe, die Rechtsgüter ihrer Mitglieder zu schützen und zu verteidigen. Ein Freigeborener, der Ehre, Besitz, Leib und Leben eines Ebenbürtigen angriff, provozierte damit eine Fehde des Geschädigten gegen die eigene Sippe. Zwischen beiden Verbänden herrschte offener, unter Umständen erbarmungsloser Kampf. Bis die Parteien durch den Abschluß einer Sühne den Frieden wiederherstellten, waren feindselige Handlungen von beiden Seiten ungemessen möglich.
Wenn die öffentliche Gerichtsgewalt versagte, wie in vorkarolingischer Zeit oder während des Interregnums, war jedermann zur Durchsetzung seines Rechts auf Selbsthilfe angewiesen. Jede funktionierende Zentralgewalt mußte dagegen daran interessiert sein, das Fehderecht zu beschränken oder zu beseitigen.
Vom 9. Jahrhundert an verlor der Bauernstand durch seinen Eintritt in ein Schutzverhältnis sein Waffen- und Fehderecht. Der Bauer schied aus dem Kreis der Fehdeführenden aus. Das volle Fehderecht erhielt dagegen die Schicht der Waffentragenden. Damit hatte sich die Ritterfehde des Hoch- und Spätmittelalters aus dem allgemeinen Selbsthilferecht herausgelöst.
Die Einengung des Kreises der Fehdeberechtigten brachte jedoch keine Verminderung des inneren Unfriedens, im Gegenteil. Wegen der geringfügigsten Schädigungen wurden Fehden eröffnet, und die Herrscher konnten, solange sie für ihre zahlreichen Heerzüge auf die Schicht der Waffentragenden angewiesen waren, an eine weitere Beschränkung des Fehderechts, nun eines Standesprivilegs, nicht "denken. Und es ist anzunehmen, daß relativ oft Fehden unter dem Schein des Rechts eröffnet wurden, die lediglich der Bereicherung dienten, Fehden mithin als Deckmantel für Raub dienen mußten. Von der gewöhnlichen Blutrache unterschied sich die Fehde dadurch, daß sie die gebotenen, wenn auch häufig mißachteten ritterlichen Formen beachtete.
Und diese hatten wenig mit dem karikaturistischen Werfen des Fehdehandschuhs zu tun, sie waren weit komplexerer Art. Seit 1186 war durch die „Con-stitutio contra incendiarios" Friedrichs l. der Fehdebeginn formalisiert: Eine förmliche, schriftliche Fehdeerklärung vor Beginn der Kampfhandlungen wurde zur Pflicht gemacht. Diese Bestimmung wurde in der Folgezeit weitgehend beachtet. Die Fehde war also zumindest bis 1495 rechtmäßige Gewalt, keinesfalls ^Faustrecht. Und soweit im Mittelalter nicht auf anderem Wege (z. B. über gerichtliche Verfahren) Gerechtigkeit erlangt werden konnte, ist auch moralisch nichts dagegen einzuwenden.
Trotzdem versuchten in späterer Zeit sowohl die Kirche als auch der Staat immer wieder, die Fehde einzudämmen, z. B. durch den Gottesfrieden und Landfrieden und die Forderung nach vorheriger Erschöpfung des Rechtsweges. Aber all diese Maßnahmen blieben relativ wirkungslos. Das deutsche Reichsrecht übernimmt das völlige Fehdeverbot im Wormser Landfrieden von 1495. Nichts ist bezeichnender für die Geltung eines solchen Verbotes, als daß die Fehden zwischen Reichsständen und Reichshtterschaft auch in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts weiterdauern und daß sich nirgends bei den Fehdeführenden das Bewußtsein findet, es könnte sich hier um eine unerlaubte Sache handeln. Ja, die „Constitutio criminalis Carolina" von 1535 kennt wieder unter gewissen Bedingungen die erlaubte Fehde, ebenso wie die sie beeinflussenden bambergischen und brandenburgischen Kriminalordnungen. Erst das Funktionieren des Reichskammergerichts und der Kreisordnungen hat im Laufe des 16. Jahrhunderts die Fehde ausgeschaltet.
Die Fehde gehört untrennbar zum mittelalterlichen Staatsleben und zur mittelalterlichen Politik wie der Krieg zum souveränen Staat und zum Völkerrecht der neueren Zeit... Die Fehde ist ein Übel, aber sie scheint ebenso unausweichlich wie Mißwuchs und Hungersnot.
Auch die Möglichkeiten einer friedlichen Beilegung der Fehde wurden wenig genutzt: Bei Verhandlungen vor ordentlichen Gerichten gab es fast immer Streit um die Zuständigkeit - jeder wollte vor das ihm genehme Gericht -, Verhandlungen zwischen den Parteien unmittelbar fanden selten statt, und man scheute auch Verhandlungen vor Femegerichten (Landfriedensgerichten). Als logische Folge versuchten in der Regel die Gegner, von denen sich jeder im Recht fühlte, mit Gewalt ihr Recht zu holen, selbst wenn das dann als „unrechte Fehde" (ohne vorherige Verhandlungen) galt. Als häufigste Fehdehandlungen können betrachtet werden:
a) Fehdehandlungen auf Straßen, bei denen Leute des Gegners gefangengenommen wurden und nur gegen Lösegeld wieder in Freiheit kamen,
b) Fehdehandlungen in Dörfern. Hier konnte man dem Gegner effektvoll schaden, indem man ganze Viehherden oder, je nach Situation, wenigstens einige Stücke Vieh wegtrieb, vor allem Rinder, Schafe, Schweine und Pferde. Bisweilen ließ man die früheren Besitzer ihr Vieh ausbürgen oder ausborgen, d. h. pro Stück mußte für die Rückgabe ein bestimmter Betrag gezahlt werden. Das Lösegeld für Vieh war meist beträchtlich. Vieh war zwar das begehrteste Objekt der als name bezeichneten Fehdehandlung, man „nahm" aber auch den Hausrat einzelner zum Kreis der Befehdeten zählenden Personen sowie alle Arten von Getreide und Feldfrüchten. Den Abschluß der Fehdehandlungen in ungeschützten Dörfern bildete häufig das Brennen. Oft wurden durch Flugfeuer noch Häuser und Scheuern von Unbeteiligten zerstört. Wahrscheinlich können wir den allgemeinen Rückgang der Siedlungen und die gehäufte Entstehung von Wüstungen im späteren Mittelalter neben anderen Gründen auch auf das Ausufern des Fehdewesens jener Zeit zurückführen.
Wie undurchsichtig und gefährlich die Lage im Verlauf einer Fehde sein konnte, beweist ein Schreiben des Kastners von Wunsiedel, Fritz von Ennd, vom Sonntag nach crucis, 6. 5. 1487, wohl an den Hauptmann auf dem Gebirge gerichtet, worin er erklärt, daß ihn Wilhelm Schirntinger beauftragt habe mitzuteilen, „daß Jörg Kutzer, meiner gnädigen Herrn Feind, vorhabe ins Land zu Franken und auch hie oben auf dem Gebirg Handwerksleute, Knappen, Pilgrime und böse Weiber einzuschleußen, die dann in die Städte Feuer legen sollten". Genaues weiß er aber noch nicht. Er meldet, daß seine Kundschafter Geld verlangen und fragt, wieviel man ihnen geben dürfe.
Es konnte lange dauern, bis eine Fehde durch einen Sühnebrief beendet wurde. Und bis dahin war in der Regel beträchtlicher Schaden auf beiden Seiten entstanden. Es war also dringend geboten, in laufende Fehden einzugreifen, vor allem die verheerenden Brandstiftungen zu verhindern und die Verursacher dingfest zu machen. Dies aber war in der Regel nur möglich, wenn man rechtzeitig von feindlichen Handlungen erfuhr und mit bewaffneter Macht eingreifen konnte.
Um die Voraussetzungen hierfür zu schaffen, richtete man nach und nach an geeigneten Plätzen, auf Bodenerhebungen oder auf hohen Gebäuden, Signalstationen ein, die wohl zunächst mehr schlecht als recht funktionierten.
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